Was ist das Gute an Wut?

Wut ist ein starkes Gefühl. Kinder lernen dabei, sich durchzusetzen und sich zu schützen. Wie Eltern ruhig bleiben können, wenn das Kind von der Wut mitgerissen wird, erklärt Julia Tiedge im Gespräch mit Tanja Mairhofer. 

 

Und wie es hilft, wenn auch kleine Kinder schon mitbestimmen können.

Nahaufnahme Emotionsbild Wut aus einer Kita

Julia Tiedge ist Kinder- und Jugendlichentherapeutin, Pädagogin und dreifache Mutter. Im Interview mit Tanja Mairhofer aus der Sendung mit dem Elefanten spricht sie über ihre Erfahrungen aus der Praxis und gibt Einordnungen, Tipps und Hilfestellungen. 
 

"Ich bleibe bei mir, ich atme gut, ich bleib bei meinem Kind und warte diesen Sturm ab."

Kinderpsychotherapeutin Julia Tiedge

Interview: Wie KInder und Eltern mit Wut umgehen

Das Wichtigste in Kürze:
  • Wutanfall? Selbst ruhig bleiben, rückblickend drüber sprechen
  • gut schauen, wie man selbst mit Wut umgeht
  • Wut hilft, Grenzen zu setzen
  • Elternstreit ist Vorbild für Kinder
  • Kinder brauchen Hilfe beim Streiten

Was macht man als Eltern, wenn das Kind so richtig wütend ist?

Das Wichtigste ist, dass man selbst ruhig bleibt und das Kind nicht alleine lässt mit seinem großen Gefühl. Denn sonst können Kinder denken, dass das Gefühl falsch ist und sie nicht wütend sein dürfen. Das ist nicht gut, denn alle Gefühle sind willkommen und das Kind sollte den Zugang zu seinem Gefühl nicht verlieren. Also dabei bleiben und sagen: "Du bist jetzt wütend." und danach mit dem Kind herausbekommen, was der Auslöser war. Manchmal stecken Kinder so tief in ihrem Gefühl wie in einem Tunnel, dann kann man gar nicht mit ihnen reden. Dann muss man einfach abwarten, bis sie wieder ruhig sind und dann rückblickend darüber sprechen

Dann können Fragen nach dem Bedürfnis helfen: Musstest du auf die Toilette, war es dir zu warm oder zu laut, wolltest du unbedingt die Süßigkeit an der Kasse haben und konntest nicht verstehen, dass es gleich Abendbrot gibt? Und dann mit dem Kind die Situation noch mal nachbesprechen. Das kann man alles nur, wenn man selbst ruhig bleibt. Also: Welche Strategien habe ich denn, mit der Wut meines Kindes umzugehen, mit meiner eigenen Wut umzugehen, vielleicht auch mit Schamgefühlen umzugehen, wenn das Kind im Supermarkt eine Riesen-Show macht? 

Dann ist wichtig: Ich atme gut, ich bleibe bei meinem Kind und ich warte diesen Sturm ab.  

Es kann sein, dass das Kind vielleicht in seiner Autonomie (Unabhängigkeit) eingeschränkt ist. Kann das Kind Selbstwirksamkeit erleben? Als Eltern müssen wir gucken, ob das Kind das Gefühl hat, gerade gegängelt zu werden, haben wir Dinge über seinen Kopf hinweg entschieden – wenn es eine Sache ist, die das Kind eigentlich mitbestimmen darf. Das Gefühl, mitzubestimmen, etwas selbst tun zu können, hilft gegen Wut.

Kinder müssen in diesem Alter Regeln und Strukturen in unserer Gesellschaft lernen, aber auf der anderen Seite auch ihre eigene Gefühlslage benennen zu können. Zum Beispiel das Nein-Sagen. Wenn wir als Erwachsene nicht so gut gelernt haben, nein zu sagen, können wir uns mal fragen, aus welcher Entwicklungsphase wir das wahrscheinlich haben. In diesen Jahren lernen Kinder, Grenzen zu setzen. Sie lernen zu unterscheiden: Wo bin ich, wo ist der andere, wo können wir uns vielleicht in der Mitte treffen? Die Fähigkeit, das auszudiskutieren haben sie meist erst in der Grundschule.

Sie haben also große Gefühle, wissen aber noch nicht, wie sie damit umgehen können. 

Interessant ist hier immer die Frage: Wie streiten denn die Eltern? Kinder beobachten uns im Alltag, in der Schule, in der Kita, zu Hause, auch unter Geschwistern. Und sie lernen von uns, wie geht man bei Streitigkeiten miteinandern um? Wir können also schlaue Bücher lesen, etwa zum Thema gewaltfreie Kommunikation, aber wenn wir selbst so nicht kommunizieren, wird das nicht funktionieren. Kinder machen das, was wir ihnen vorleben. Deswegen ist es gut, wenn wir eine Streitkultur haben in der Familie. Also zum Beispiel: Es ist in Ordnung, wütend zu sein, aber es ist nicht in Ordnung jemandem weh zu tun. Da muss man eine Grenze ziehen. 

Je älter das Kind, desto besser kann man mit ihm über solche Situationen sprechen. Kinder brauchen Unterstützung, wenn sie Streitigkeiten regeln wollen. Wenn sie sehr klein sind, können sie das nicht alleine – umso älter sie werden, desto besser können sie sich in andere hineinversetzen. Dann wird es leichter, Streitigkeiten selbst zu lösen, aber im Kindergartenalter ist das einfach noch nicht möglich.  

Ja, darum geht es: Dass die Kinder lernen, sich selbst besser zu verstehen und ihre Gefühle nach außen zu bringen. Zum Beispiel: Ich bin traurig, ich möchte dir das Spielzeug nicht geben, weil du es das letzte Mal kaputt gemacht hast und ich habe Angst davor, dass das wieder passiert – erst dann kann der andere darauf eingehen und sagen: Ich verspreche dir, dass das nicht mehr passiert. Und dann können die Kinder das miteinander aushandeln.

Das ist aber schon recht reif, kleine Kinder können noch nicht in Worte fassen, was sie selbst und der andere gerade empfindet. Sie drehen sich noch sehr um sich selbst und es liegt dann an uns zu deuten, was wir da sehen. Wir können zum Beispiel sagen: Kann es sein, dass du traurig oder wütend bist? Wo fühlst du das in deinem Körper? Wie fühlt sich das an? Magst du deinem Bruder mal sagen, dass du traurig bist und warum du traurig bist? 

Wir können eine Streitigkeit moderieren, sollten aber keine Richter sein, sondern uns als Hilfe zur Verfügung stellen. 

Wut und Aggression können sehr positiv sein. Denn das bedeutet, ich kann mich durchsetzen, ich kann Grenzen ziehen, ich kann mich schützen. Wenn man diese Dinge nicht gut gelernt hat, können daraus im Erwachsenenalter einige Diagnosen entstehen: Zum Beispiel eine Depression kann daran liegen, dass man sich nicht gut schützen oder abgrenzen kann. 

Das sind Dinge, die Kinder schon früh lernen. Wenn sie sich trauen, nein zu sagen und zu dem zu stehen, was in ihnen vorgeht und das nach außen zu bringen, dann haben sie eine größere Chance später nicht krank zu werden, körperlich und seelisch. Es ist wichtig, mit Gefühlen umgehen zu lernen. 

Zu den anderen Gefühlen

Video: Gefühle-Sendung – Wie fühlt sich Wut an?

Wütend sein kennt jedes Kind. So wie Luka in der Kita. Oder Knolle, der manchmal denkt, dass er für alles zu klein ist. Erst Evas Lied muntert ihn wieder auf. Wie fühlt sich Wut an? Wo spüren wir sie? Und wie können Kinder dieses große Gefühl wieder loswerden? Der blaue Elefant und seine Freunde gehen in dieser Sendung über Gefühle auf Wut-Entdeckungsreise und erzählen Geschichten zum Staunen und Mitlachen – extra für kleine Kinder.